Der Frühling ist vorbei, der Frühjahrsputz ebenfalls. Wer kennt es nicht: Kiste um Kiste wird aus dem Regal geräumt, um den Staub von den Brettern zu wischen und gelegentlich bleiben wir an unserem Hab und Gut hängen, ob es nun die Hochzeitsfotos sind, die alten Zeugnisse oder etwas, das uns heute beinahe antik vorkommen dürfte: ein handgeschriebener Brief.

 

War er früher noch das gängigste und meist einzige Mittel der Kommunikation, werden wir heute mit Tweets, E-Mails und Facebook-Posts bombardiert, dass es kaum auszuhalten ist. Privatsphäre? Ein überholtes Modell. Big Brother ist überall und liest jede noch so persönliche Nachricht mit.

 

Auch die Inhalte unserer schriftlichen Gespräche haben sich geändert. Während man sich früher genau überlegte, ob sich das Schreiben eines Briefes wirklich lohnt, wird heute jede noch so belanglose Kleinigkeit mitgeteilt.

 

Das Mittagessen wird für Instagram fotografiert, der Kommentar zum Fernsehprogramm mit dem entsprechenden Hashtag getwittert, der Freizeitausflug bei Facebook gepostet und via Periscope sind nun sogar Live-Übertragungen möglich – jedermann ist sein eigener Journalist, immer und überall. Das Ergebnis ist eine Datenflut, die wir längst nicht mehr im Griff haben.

 

 

Der Brief als entschleunigtes Mittel der Kommunikation

 

Im Jahr 2015 ist ein handgeschriebener Brief kein normales Kommunikationsmittel mehr, sondern ein Zeichen der Wertschätzung. Für wen nimmt man schließlich die Mühe auf sich, Briefpapier zu kaufen, es mit einem Füller zu beschreiben, es anschließend in einen Briefumschlag zu stecken, mit einer Briefmarke zu versehen und schlussendlich zum Briefkasten zu bringen, nur damit es den Adressaten bestenfalls einen Tag später erreicht?

 

Dabei hat so ein Brief etwas herrlich Entschleunigendes und bietet damit einen haptischen Kontrast zur allgegenwärtigen Schnelllebigkeit: Haptik statt Hektik. Schnelle Antworten sind nicht nötig.

 

Ein Brief verursacht keinen nervigen Benachrichtigungston und er vibriert auch nicht. Hashtags und Emoticons sind dem Brief fremd. Wer dem Empfänger anschaulich von den eigenen Erlebnissen erzählen möchte, muss sich dazu einer Möglichkeit bedienen, die heute allzu oft verkümmert: der bildhaften Sprache.

 

Selbst wenn wir den Brief nicht abschicken, bietet er eine gesunde Grundlage für ein Gedankenexperiment: Ist die Information, die wir unserem Gegenüber übermitteln wollen,

 

 

wirklich von Belang? Empfänden wir auch dann das Bedürfnis uns mitzuteilen, wenn wir dafür einen Brief schreiben müssten?

 

Handgeschrieben Briefe - für Sicherheit und Wohlbefinden

 

Briefe dienen nicht nur der Kommunikation, sondern auch der Reflektion. Das Innehalten beim Schreiben, die sorgfältige Wortwahl und das haptische Erlebnis der Papierberührung lösen eine innere Ruhe aus, die uns kein Notebook der Welt bieten kann. Beleuchtete Bildschirme sind dem Brief fremd, ebenso wie blinkende Signale und Lüftungsgeräusche.

 

Last but not least: Briefe sind vor Mitlesern gefeit. In Zeiten der ständigen Überwachung kein unwichtiges Kriterium, denn schließlich lesen Facebook, WhatsApp und ähnliche Online-Dienste fleißig mit und verfolgen unser Innenleben auf Schritt und Tritt.

 

Wer Briefe schreibt, tut nicht nur etwas für seine Persönlichkeitsentwicklung, sondern auch für den persönlichen Datenschutz. So bleibt nicht nur die ständige Hektik chancenlos – auch Big Brother sieht dank handschriftlicher Briefe ziemlich alt aus.

 

 

Autor: Richard Kastner

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